Des Venedigers Prophezeiung

Schramm, Rudolf: Venetianersagen von geheimnisvollen Schatzsuchern 1. Aufl. Leipzig , VEB Deutscher Verlag für Grundstoffindustrie , 1985.

Es mag schon lange her sein, da stand auf dem Brockengipfel an Stelle des großen Brockenhotels und des hohen Aussichtsturmes nur eine armselige Kate, in der ein armer Köhler hauste, der dort seinen Kohlenmeiler unterhielt.

Als er eines Tages in seiner Bergeinsamkeit Kohlen brannte, kam ein Venediger zu ihm und bat um ein bescheidenes Nachtlager. Zum Abendessen kochte der Köhler eine Brotsuppe, an der sich auch der Fremde gütlich tat. Dann schritt jener um den rauchenden Meiler, damit das Feuer nicht ausbrach. Es war die Stunde vor Mitternacht. Am Morgen forderte der Venediger den Köhler auf, mit ihm auf die Wiese zu gehen. “ Gebt acht ”, ermahnte er den Köhler, “ wenn ich Euch abermals anspreche, sollt ihr weitergehen.”

Im Walde zog der Fremde ein Buch aus der Tasche und berührte damit den Köhler. Dann las er daraus in einer fremden Sprache etwas vor. Da wurde es plötzlich ganz hell. Nun waren sie auf einer großen Wiese angekommen, die voll goldgelben Johannisblumen stand. Die sollte der Köhler pflücken, aber nur wenige sammelte er, während der Venediger einen ganzen Strauß an sich nahm.

Als sie wieder in die Köhlerhütte zurückgekehrt waren, warf der Köhler sein Sträußchen achtlos unter die Bank. “Verwahrt die Blumen besser!” verwies ihn der Fremde ernst. “ Ihr werdet sie noch nötig haben.” Dann setzte er seine Rede mit den prophetischen Worten fort: “ Noch in diesem Jahr werden Euch drei Pferde verenden. Sobald das geschehen, kauft Euch in der Stadt einen irdenen Topf, ohne mit der Händlerin zu feilschen. Dann füllt ihr ihn mit dreiviertel Maß Braunbier und schneidet das Sträußchen Johannisblumen hinein. Den Topf stellt ihr zwei Tage und zwei Nächte in das Kohlenfeuer eurer Kate. Sodann grabt ein Loch in die Erde, setzt den Topf hinein und lasst ihn eine Woche lang unberührt stehen. Wenn ihr ihn dann öffnet, werdet ihr Euer Glück erfahren.” Dann schied der Venediger tags darauf von seinem Gastgeber.

Wie dem Köhler vorausgesagt war, starben ihm binnen kurzem seine drei Pferde. Da tat der Köhler alles so, wie es ihm der fremde Gast geboten hatte. Und als er den Topf öffnete, befand sich eine Menge Gold darin, als er Braunbier hineingegossen hatte. Für das viele Gold aber konnte sich der Köhler wieder neue und noch bessere Pferde und viel Land kaufen, dazu einen eigenen großen Hof. Verdiente es als armer Köhler kaum das Salz zum Brot, so wurde er nun ein Bauersmann, der sein gutes Auskommen hatte.

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