Der Venezianer und der Oberförster

Bergmannssagen aus dem Harz, VEB Deutscher Verlag für Grundstoffindustrie Leipzig

Der ehemalige Oberförster Brunnengräber aus Schierke pflegte gern folgendes Abenteuer zu erzählen:
„Ich stellte mich eines Abends am Brocken an, um einen Hirsch zu schießen. Da wuchs einige Schritte von mir entfernt ein schwarzer Kopf gleichsam aus der Erde hervor. Bald danach kam auch ein Mann zum Vorschein, der sich mit einem angefüllten Quersack heraushob und sodann das Loch mit einem Stein wieder sorgfältig bedeckte. Da trat ich aus dem Dickicht hervor und ihm entgegen; denn ich hielt ihn für einen Wilddieb. Zwar setzte er sich anfangs mit einem langen Messer zur Wehr, aber meine Büchse brachte ihn bald zur Vernunft, und er musste – wohl oder übel – mit mir nach Schierke hinunterwandern.

Der Kerl verstand kein Deutsch, denn es war einer von den überall herumziehenden Venezianern, die uns das Gold und das Silber aus dem Lande schleppen. Während ich ihn in meinem Haus einstweilen gefangenhielt und ihm die Zeit lang werden mochte – oder er mich damit auch vertrauensselig machen wollte -, schrieb er ein Rezept, dass ich in die Apotheke schickte. Dort erhielt ich darauf ein weißes Pulver. Mit diesem machte der Venezianer sein Kunststück. Als er nämlich dieses mit dem gelben Letten, den er in seinem Quersack davontragen wollte, mittels des großen Messers eine Weile umrührte, verwandelte sich der Letten fast ganz in Silber. Jede Schmelzung in einem gewöhnlichen Goldschmiedtiegel gab – soll mich der Kuckuck holen! – eine feine Mark.

Natürlich bewachte ich nun meinen hübschen Venetianer noch sorgfältiger als zuvor. Aber der Kunde war mir zu schlau, und eines Nachts ging er mir durch die Lappen. Zwar machte ich später noch manchen Versuch, um aus der gelben Erde Silber zu scheiden, aber es wollte mir nicht gelingen.“

Dabei pflegte der alte Oberförster immer einen Suppenlöffel vorzuzeigen, der aus dem Brockensilber gefertigt war.

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